Hinter dem Haus meines Großvaters in Stuttgart-Feuerbach stand eine Hütte. Auf dem Dachboden fanden wir diese zugeschnürten, fürchterlich verstaubten alten und teilweise ramponierten Pappkisten, die auf dem Foto zu sehen sind. Das seien die Feldpostbriefe seines im Krieg im Elsass vermissten Halbbruders Walter, erzählte uns unser Vater. Es waren viele Briefbündel in den Kisten. Sie waren fest mit Paketschnur verschnürt und wir Kinder sollten die Kisten keinesfalls öffnen.
„Feldpost“ steht auf einem der kleinen verschnürten Päckchen in einer der Kisten. Wir Kinder bekommen erzählt, der junge Soldat, der die Briefe geschrieben habe, sei vermisst, wahrscheinlich tot. Über seinen Verbleib nach dem 27.12.1944 gibt es keine definitiven Hinweise.
Unser Vater ist 2006 verstorben ... und damit das Tabu, die Kisten zu öffnen, hinfällig.
Sofort lag Walters Schicksal sozusagen auf dem Schreibtisch. Und all die schon immer offenen Fragen suchten wieder nach Antworten: Die Fragen nach dem Schicksal Walters und auch die nach der politischen Einstellung und Motivation unserer Vorfahren und dem Grund für manches Verhalten unseres Vaters.
Die Spurensuche begann mit dem systematischen Lesen der Briefe ...
Inzwischen wissen wir sehr viel über Walter Laich: Seine Geschichte stellen wir ausführlich unter Themen/Elsass dar. So wissen wir, dass Walter sich in den Kriegsjahren zunehmend fanatisierte - vielleicht auch bedingt durch den Tod seiner Verlobten Getrud, die bei einem Bombenangriff ums Leben kam. Von Kameraden wurde Walter als „der fanatischste von allen“ charakterisiert, als einer, der „bis zum Endsieg kämpfen“ wollte.
Im Dezember 1944 gelangte Walters Einheit nach Sigolsheim bei Colmar. Dort tobten im Anschluss zweiwöchige brutale Kämpfe, die französische und die US-Armee stießen auf fanatischen Widerstand von Wehrmacht und Waffen-SS. Bis zum 27.12.1944 wurden Sigolsheim und einige der umliegenden Gemeinden vollständig zerstört.
In seinem letzten Brief nach Hause schreibt Walter:
Keine Zeit zum Brief schreiben, soll nur Lebenszeichen sein. Vor 8 Stunden meinen 3. Panzer geknackt. Major sagt: L. Sie sind meine Husarengruppe gewesen, jetzt meine Elitegruppe.
Walter kam in den Morgenstunden des 27.12.1944 ums Leben. Den Verbleib seines Leichnams konnten wir bislang nicht aufklären. Walter war für den Tod des jungen Aspirant Camille Girard verantwortlich, dem in Sigolsheim ein besonderes Gedenken zu Teil wird.
Im September 1944 kam es auf den Friedhöfen von Palzem und Nennig zu Erschießungen von Widerstandskämpfer:innen. Die französischen Staatsbürger und Widerstandskämpfer Marcel Voyat, Henri Uguccioni und Edmond Helck wurden am 4. September 1944 verhaftet und nach bisherigem Kenntnisstand am 8. September 1944 in Palzem erschossen. Edmond Helck war 16 Jahre alt.
Am 8. oder 9. September 1944 wurden die französischen Staatsangehörigen Georges Claudon und Germaine Causier sowie Emile Deiskes in Nennig erschossen. Die luxemburgisches Staatsbürger Michael Bockler und Nicolas Weiwers wurden am 2. oder 3. September in Dudelange festgenommen und vermutlich in Nennig erschossen. Die genauen Umstände sind ungeklärt.
Die Täter wurden für ihre Taten nicht verurteilt. Bis heute gibt es keine Form des Gedenkens an die Ermordeten. Dies möchten wir ändern.
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Die Dokumentation unserer Veranstaltung am 27.1.2022 im Alten Rathaus in Göttingen ist jetzt online:
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Zum Inhalt der Veranstaltung:
Doerfer räumt auf mit dem falschen Narrativ, jüdische Menschen hätten sich widerstandslos „wie die Schafe zur Schlachtbank“ führen lassen. Genau das Gegenteil war der Fall, selbst dieses Zitat wurde verdreht. Denn es entstammt einem Aufruf, kurz vor der Wannseekonferenz gerichtet an die 10 Millionen jüdischer Menschen in Europa, eben gerade NICHT „wie die Schafe zur Schlachtbank“ zu gehen. In Folge leisteten jüdische Frauen und Männer den in Relation gesetzt mit Abstand größten Anteil am Widerstand gegen den Faschismus: Bereits in den internationalen Brigaden in Spanien, im französischen Exil in der Résistance, bei den osteuropäischen Partisan*innen, in der Jüdischen Brigade der Britischen Armee, um nur einige Beispiele zu nennen. Nach dem Ende des Nazifaschismus gingen in Norditalien, Österreich und Süddeutschland einige jüdische Kämpfer regelrecht auf Jagd nach Haupttätern und töteten eine erhebliche Anzahl von ihnen. Aber keine Straße, keine Schule, so gut wie nichts erinnert in Deutschland an die zahllosen Frauen und Männer des machtvollen jüdischen Widerstands.
„Les crimes de Bourg-Lastic - La brigade Jesser entre Auvergne et Limousin, 1944“
Vom 9. Juli bis zum 22. August 1944 war das Dorf Bourg-Lastic Schauplatz mehrerer Verbrechen der „Brigade Jesser“. Bourg-Lastic ist ein Dorf in der Auvergne mit 1400 Einwohner*innen, gelegen an der Grenze zwischen den Departements Puy-de-Dôme und Corrèze. Die „Brigade Jesser“ war eine deutsche Militäreinheit, deren Auftrag die Bekämpfung des französischen Widerstands war. Ihre wichtigste Untereinheit war das Sicherungsregiment 1000.
Am rätselhaftesten geblieben sind die Attentate vom 15. Juli 1944: In den frühen Morgenstunden wurden 23 Männer erschossen. Zuvor gab es in der Region eine Woche lang Razzien, Verhaftungen, Verhöre und die Aussonderung von Geiseln. Die Geiseln wurden fünf Tage und sechs Nächte lang festgehalten.
Über das Sicherungsregiment 1000 (motorisiert) ist bislang relatv wenig bekannt. Im Frühjahr und Sommer 1944 war es als Teil der „Brigade Jesser“ eingesetzt im Kampf gegen die erstarkende Résistance in Zentralfrankreich.
Peter Lieb attestiert in seinem Standardwerk „Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte“ (Hrsg. Institut für Zeitgeschichte, Band 69, R. Oldenbourg Verlag München, 2007) eine „miserable Quellenlage“ zu den Sicherungsregimentern und –bataillonen. So findet sich dort auch nur ein einziger ungenauer Hinweis auf das Sicherungsregiment 1000 im Zusammenhang mit den Kämpfen am Mont Mouchet am 10./11. 6. 1944 in einer Fußnote.
Ganz neu erschienen ist die französichsprachige Broschüre „Les crimes de Bourg-Lastic – La Brigade Jesser entre Auvergne et Limousin 1944“ von Laurent Battut, Editions Lamarque Historique, ISBN 978-2-490643-59-2. Sie hat einen zwar begrenzten, aber bedeutsamen Teil des Agierens der Brigade Jesser und des Sicherungsregiments 1000 zum Thema.
Es hat sich zwischenzeitlich eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, darunter Familienmitglieder ehemaliger Angehöriger des Sicherungsregiments 1000. Wir tauschen Quellen ganz unterschiedlicher Herkunft aus und werten diese aus. Diese umfassen z.B. Kriegstagebücher deutscher Armeestäbe, deutsche Feldpostbriefe aus Privatbesitz, Auskünfte von Archiven etc..
Um die Quellenlage der historischen Forschung zu verbessern, starten wir hiermit einen Aufruf an die Familien ehemaliger Angehöriger des Sicherungsregiments 1000, uns ihre in Privatbesitz befindliche Dokumente, Feldpostbriefe, Postkarten, Fotos und andere Zeugnisse in Kopie zur Verfügung zu stellen.
Ebenso bitten wir Angehörige ehemaliger Mitglieder der alliierten Armeen uns Dokumente über das Sicherungsregiment 1000 zur Verfügung zu stellen, die sich eventuell in ihrem Besitz befinden könnten.
Im Gegenzug bieten wir unsere bisherigen Kenntnisse und weiteren Austausch an.
Da das Sicherungsregiment 1000 aus insgesamt ca. 1500 Soldaten bestand, dürften sich viele Dokumente im Privatbesitz der Familien ehemaliger Regimentsangehöriger befinden. Eine Zugehörigkeit ist anhand der Feldpostnummer einfach zu verifizieren. Diese sind an dieser Stelle aufgelistet.
Auch die beim Bundesarchiv angesiedelte ehemalige Deutsche Dienststelle (WASt) kann Auskunft über eine Zugehörigkeit zum Regiment geben.
Werden Sie Teil einer sehr interessanten und lehrreichen Arbeit über ein Thema das noch wenig beforscht ist.