Achim Doerfer ist stellvertretender Vorstand der Liberalen Jüdischen Gemeinde Göttingen und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen.
Diese Veranstaltung fand statt im Rahmen der Göttinger Veranstaltungsreihe
„Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Eine Veranstaltungsreihe: 9. November - 27. Januar”
Die Dokumentation unserer Veranstaltung am 27.1.2022 im Alten Rathaus in Göttingen ist jetzt online:
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Zum Inhalt der Veranstaltung:
Doerfer räumt auf mit dem falschen Narrativ, jüdische Menschen hätten sich widerstandslos „wie die Schafe zur Schlachtbank“ führen lassen. Genau das Gegenteil war der Fall, selbst dieses Zitat wurde verdreht. Denn es entstammt einem Aufruf, kurz vor der Wannseekonferenz gerichtet an die 10 Millionen jüdischer Menschen in Europa, eben gerade NICHT „wie die Schafe zur Schlachtbank“ zu gehen. In Folge leisteten jüdische Frauen und Männer den in Relation gesetzt mit Abstand größten Anteil am Widerstand gegen den Faschismus: Bereits in den internationalen Brigaden in Spanien, im französischen Exil in der Résistance, bei den osteuropäischen Partisan*innen, in der Jüdischen Brigade der Britischen Armee, um nur einige Beispiele zu nennen. Nach dem Ende des Nazifaschismus gingen in Norditalien, Österreich und Süddeutschland einige jüdische Kämpfer regelrecht auf Jagd nach Haupttätern und töteten eine erhebliche Anzahl von ihnen. Aber keine Straße, keine Schule, so gut wie nichts erinnert in Deutschland an die zahllosen Frauen und Männer des machtvollen jüdischen Widerstands.
Hingegen kann die Nichtaufarbeitung des NS-Terrors seitens der deutschen Nachkriegsjustiz nur als ein gewolltes Justizversagen historischen Ausmaßes bezeichnet werden. Die Tatsache, dass die allermeisten der Massenmörder völlig unbestraft wieder ein normales Leben aufnehmen konnten, nicht wenige von ihnen im Staatsdienst, machte den Überlebenden der Shoa nach 1945 eine Perspektive in Deutschland unmöglich.
Doerfer zeigt das Bemühen der Wahrheitskommissionen um gelingende Versöhnung rund um den Globus auf: Juristische Aufarbeitung ist dafür unabdingbare Voraussetzung, gemeinsam mit tätiger Reue. Doerfer würdigte in seinem Vortrag, dass die deutsche Justiz mit den Prozessen gegen einige noch lebende NS-Täterinnen und –täter endlich einen zu einer normalen justiziellen Umgangsform gefunden hat. Ebenso würdigte er gelungene Ansätze von Dialog und Versöhnung auf der Ebene zivilgesellschaftlicher Initiativen. Im starken Gegensatz dazu benannte Doerfer aber ebenso aktuelle Beispiele, in denen auf offizieller Ebene eine Debatte auf Augenhöhe z.B. über Ehrungsfähigkeit von NS-Tätern verweigert wird. Laut Doerfer verkommt hier die Gedenkkultur zum „Gedenktheater“: Widerspruch gegen das „Einfordern von Versöhnung“, werde im schlimmsten Fall „wegmajorisiert und kulturell weghegemonisiert“, anstatt „in den Schmerz einer kontroversen Diskussion reinzugehen und auch die Konsequenzen zu ziehen“. Als aktuelle Negativbeispiele nannte Doerfer im Vortrag den Refomationstag im Lutherjahr, viele Ehrungen von Altnazis oder den Streit um die Wittenberger „Judensau“. „Wo Mitleid ausreicht, da kann man sich den Respekt sparen“, so Doerfer. „Wo ein Tag im Jahr, der 9. November, zu genügen scheint, da kann man sich den routinemäßigen, permanenten und ehrlichen Diskus sparen. Auch deshalb scheint es mir lohnend mit dem Opfernarrativ aufzuräumen.“ Doerfer schlägt deshalb für eine Zusammenführung der Perspektiven einen weiteren Tag vor, an dem gleichermaßen an Märtyrer*innen, Widerständler*innen und Opfer erinnert wird, angelehnt an Jom haSchoa. Aber: „Wenn man es immer weiter so halten möchte, wie bisher, dann darf man sich jüdischer Duldsamkeit bitte nicht zu sicher sein.“
Chasan (Kantor) Daniel Kempin begleitete den Referenten Doerfer im Wechsel musikalisch mit einer sehr eindrücklich vorgetragenen Auswahl jüdischer Widerstandlieder. So stellte er als inhaltlichen Auftakt der Veranstaltung eine extra für diese Veranstaltung erarbeitete Fassung des Liedes „mein Maschinengewehr“ vor - eine Hommage an den bewaffneten jüdischen Widerstand: „Ich erinnere die Freude in meinem Schtetl. Aber nun ist es verödet, verwaist und alle Häuser sind niedergebrannt. Jetzt aber ist Gott sei Dank die Rote Armee hier und sie gab mir ein Maschinengewehr. Oh ihr barbarischen Kannibalen, ach ihr deutschen Banditen! Hey du Maschinengewehr, ziele besser! Lasse keinen einzigen Deutschen überleben!“.
„Schabbat Schalom“ vom 5. November 2021 - Achim Doerfer im Interview mit NDR Info
— Matthias Bertsch im Gespräch mit dem deutsch-jüdischen Rechtsanwalt Achim Doerfer, rbb Kultur
Deutsche Erinnerungskultur - Achim Doerfer geht mit der Deutschen "Erinnerungskultur" und der deutschen Justiz hart ins Gericht, erinnert an jüdische Widerstandskämpfer und beschreibt auch den Wunsch nach Rache von Jüd*innen, rbbKultur
Lesen. Jetzt! - Achim Doerfer: Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen, Friedrich-Naumann-Stiftung